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Deskriptive Metrik
Deskriptive Metrik
Date: 12 April 2011, 08:35

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»Deskriptive Metrik«, der Titel der vorliegenden Arbeit, ist Programm: Was im Folgenden prasentiert wird, versteht sich als ein neuer systematischer An- satz zur einfachen und gleichzeitig prazisen und differenzierten Beschreibung aller (oder doch zumindest moglichst vieler) Vers- und Gedichtformen. Das Ziel ist dabei, sowohl im Hinblick auf die versifikatorisch relevanten sprachli- chen Konstituenten wie auch auf die einschlagigen Anordnungsprinzipien mit moglichst wenigen und moglichst einfachen Kategorien auszukommen.
Am Anfang stehen notwendige Voruberlegungen zur Prosodie einschlie?lich eines detaillierten Vorschlags zur wortklassenspezifischen Akzentskalie- rung im Deutschen. Daran schlie?t sich mit der Definition des Verses die be- griffliche Klarung des Gegenstandsbereichs und mit der Unterscheidung zwi- schen gebundenen und ungebundenen Versen seine primare interne Differenzierung an. Es folgt die Vorstellung und Diskussion der Versifikationstypologien von John Lotz, Boris Buchstab, Christian Wagenknecht und Chri- stoph Kuper. Darauf aufbauend wird im Hauptteil ein eigenes Modell zu den Konstituenten und Anordnungsprinzipien des Verses vorgelegt und erlautert. Dabei kann fur den Bereich der gebundenen Verse ein vollstandiges deskriptiv-klassifikatorisches System prasentiert werden, das es erlaubt, jede Gedichtform hinsichtlich ihrer primaren rhythmischen Merkmale adaquat zu be- schreiben und von anderen Formen abzugrenzen. Fur die ungebundenen Verse mit ihrem stets individuellen, prinzipiell unvorhersagbaren Rhythmus ist dies ausgeschlossen. Die entwickelte Systematik erlaubt es jedoch, klar zwi- schen fakultativen und obligatorischen Merkmalen zu unterscheiden und vorliegende deskriptiv-typologische Ansatze in ihrer Stringenz und Leistungsfa- higkeit einzustufen.
In der gesamten Studie spielen Gedichtbeispiele eine wichtige Rolle. Neben der empirischen Uberprufung der vorgelegten Versdefinition dienen sie im Hauptteil der Studie dazu, die verschiedenen Spielarten der rhythmischen Strukturierung besonders pragnant, wenn moglich sogar in isolierter Form, vor Augen zu fuhren. Die dazu verwendeten Texte stammen aus Grunden der leichteren Nachvollziehbarkeit vorwiegend aus der deutschsprachigen Literatur. Da? daneben auch Gedichte und lyrische Gattungen aus anderen Sprachen (vorwiegend aus dem Englischen und Russischen) berucksichtigt werden, macht die komparatistische Anlage der Arbeit deutlich. Wie unver- zichtbar der versgeschichtliche, aber auch der metriktheoretische Blick uber die Grenzen der einzelnen Nationalliteratur ist, hat in den vergangenen Jahrzehnten vor allem Michail Gasparov immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Der vorliegende deskriptive Ansatz liefert hierzu einen Beitrag im Bereich der systematischen Grundlagenforschung. Es liegt auf der Hand, da? die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Lyrik verschiedener Literaturen um so deutlicher wahrgenommen werden konnen, je mehr die verwendeten Beschreibungskriterien in der Lage sind, ein vollstandiges und prazises Bild der jeweiligen Form zu liefern.
Als Konsequenz aus der deskriptiven Ausrichtung der Studie ergibt sich, da? wichtige Aspekte der Metrik uberhaupt nicht oder nur am Rande behan- delt werden. Innerhalb der Teildisziplinen, die Burkhard Moennighoff un- langst unterschieden hat, betrifft dies insbesondere die historische Metrik als Beschreibung der geschichtlichen Entwicklung, sei es einzelner metrischer Formen oder der Versifikation einer Literatur im Ganzen. Allerdings ist gerade der historische Zweig der Metrik innerhalb der Einzelphilologien traditionell gut entwickelt. Nimmt man die deutschsprachige Literatur als Beispiel, so wurde in den vergangenen Jahrzehnten eine ganze Reihe hochkaratiger Darstellungen mit je unterschiedlicher Perspektivierung und Schwerpunktsetzung vorgelegt: Man denke (um nur einige wichtige herauszugreifen) an die Werke von Albertsen, Arndt, Breuer, Kayser, Moennighoff, Paul/Glier und Wagenknecht. Es ware ein erwunschter Nebeneffekt, wenn die vorliegende Arbeit dazu beitragen konnte, die theoretischen Voraussetzungen dieser Historischen Metriken klarer erfassen und vielleicht auch Entwicklungslinien genauer nachvollziehen zu konnen.
Ein zweiter wichtiger Teilbereich findet hier ebenfalls lediglich punktuell Berucksichtigung: die Angewandte Metrik als Auseinandersetzung mit der Funktion rhythmischer Strukturen im Textganzen. Die vorliegende Studie versteht sich allerdings als eine Vorarbeit fur diesen im akademischen wie all- taglichen Umgang mit Lyrik vielleicht relevantesten Aspekt der Verslehre. Denn eine Funktionsbestimmung des Rhythmus setzt die adaquate Beschreibung von konkreten Verstexten und ihren kontrastiven Vergleich mit den zu- grundeliegenden metrischen Formen voraus. Auch wenn sich der hier prasentierte deskriptive Ansatz auf die Ebene des abstrakten Metrums konzentriert, soll er doch gleicherma?en anwendbar auf jeden konkreten Einzeltext sein.
Konzeption, Ausfuhrung und Drucklegung der vorliegenden Arbeit waren nicht moglich gewesen ohne vielfaltige Unterstutzung. Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich Hendrik Birus, Erika Greber und Milos Sedmidubsky fur ihr ungemein engagiertes Mentorat, Wolfgang Schindler fur intensive und fruchtbringende Gesprache im gemeinsamen Arbeitsfeld von Linguistik und Literaturwissenschaft, Stephan Packard fur kontinuierliches Mitdenken und viele wertvolle Einzelhinweise, Young-Ae Chon, Frank Kraushaar und Brigitte Rath fur die Einblicke in die Welt der koreanischen, chinesischen und japanischen Lyrik, den Munchener Studierenden einer Reihe einschlagiger Lehrveranstaltungen fur ihre Offenheit und Experimentierfreudigkeit sowie den Herausgeberinnen der Innsbrucker Comparanda-Reihe fur die Aufnahme dieses Bandes und fur die tatkraftige Hilfe bei der Realisierung der Publikation.

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